Zuversicht Woche 8: „Wir werden sein wie die Träumenden“

gettyimages

Ein Wallfahrtslied. Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Da wird man sagen unter den Völkern: Der HERR hat Großes an ihnen getan! Der HERR hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich. HERR, bringe zurück unsre Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.
Psalm 126

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

gesegnete und frohe Ostern! Die 40 Tage Fastenzeit sind vorbei, die 50 Tage Osterzeit sind da. Bis Pfingsten ist die liturgische Farbe nicht mehr Violett, sondern Weiß wie das Licht des Ostermorgens. Im Kirchenjahr hat sich alles komplett verändert. Die Leidenszeit ist vorbei, die Freudenzeit hat begonnen. Wie schön wäre es doch, wenn wir das unbeschwert feiern könnten! Aber noch geht unser Fasten weiter, noch hat das Leiden kein Ende. Je länger wir bangen müssen, was die Corona-Krise noch an Unglück bringt, desto schwerer wird es, zuversichtlich zu bleiben.

Eine Möglichkeit, Zuversicht zu bewahren, ist es, sich an gute Zeiten und Ereignisse zu erinnern. Das ist der Weg, den viele Psalmen in der Bibel immer wieder nutzen. Gerade die Psalmen, die in Unglückszeiten entstanden sind, erzählen immer wieder von den Begebenheiten, in denen Gott half. So erinnern die Betenden sich selbst und Gott daran, wie gut die Rettung tut.

Ich habe darum für uns in dieser Woche einen besonderen Psalm ausgesucht, der in der Erinnerung an die Rettung durch Gott schwelgt. Allerdings schwelgt er in der Übersetzung Martin Luthers eher in der Aussicht auf die Rettung. Psalm 126 ist bei Luther zukünftig formuliert. Der Grund dafür ist eine Schwierigkeit im hebräischen Original. Der Beginn lautet: „Beschuw adonaj ät-schiwat Zijon hajjinu kecholamim.“ Normalerweise gibt in einem hebräischen Text immer das erste Verb vor, in welcher Zeit der Text spielt. Hier aber fängt der Satz mit einem Infinitiv an, der keine zeitliche Bestimmung hat. Das Geschehen, von dem erzählt wird, die Erlösung der Gefangenen findet also weder in der Vergangenheit, noch in der Gegenwart oder der Zukunft statt. Es ist mehr wie ein allgemeingültiger Satz: Wenn Erlösung durch Gott geschieht, dann sind wir wie Träumende.

Das erste Verb, das tatsächlich einen erkennbaren zeitlichen Bezug hat, ist „hajjinu“. Stünde es allein, müsste man es mit „wir waren“ übersetzen. Darum lautet auch die Wiedergabe des ersten Verses in den meisten anderen Übersetzungen ähnlich, wie es die Zürcher Bibel schreibt: „Als der HERR wandte Zions Geschick, waren wir wie Träumende.“ Man kann heute kaum sagen, welche Übersetzung richtig ist. Man muss aus dem Zusammenhang argumentieren, um sagen zu können, der Psalm blicke in die Vergangenheit oder in die Zukunft.

Ich schreibe Ihnen dieses Detail so ausführlich, weil ich davon fasziniert bin, wie Vergangenheit und Zukunft durch diese sprachliche Besonderheit miteinander verschmelzen. Es ist, als ob der Mensch, der diesen Psalm zuerst gebetet hat, sagen wollte: Erinnert euch daran, wie Gott sein Volk nach 70 Jahren Exil nach Hause geführt hat. Wie Träumende waren wir, und so wird es wieder sein, weil Gottes Hilfe immer gilt. Gott wird Großes an uns tun, weil und wie er an uns Großes getan hat. Erinnert euch, und ihr werdet erleben, wie es sein wird, wenn es wieder geschieht: lachende Münder, rühmende Zungen!

Die Gegenwart kommt auch vor, in Psalm 126. Der letzte Vers ist in der Gegenwart formuliert, bei Luther und auch bei den anderen Übersetzungen: „Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.“ Das beides geschieht jetzt: Trauer und Freude, Säen und Ernten. Davor und danach – und irgendwie die ganze Zeit über – steht Gottes Rettung. Man muss sich an die Rettung erinnern, damit sie nicht nur gegenwärtig wird, sondern auch zukünftig.

Darum lautet meine erste nachösterliche Wochenaufgabe für Sie so: Erinnern Sie sich an Zeiten, in denen etwas Schlimmes vorbei war! Wie erging es Ihnen da? Wie spürten Sie Ihre Fröhlichkeit? Was haben Sie getan? Erlauben Sie sich das Schwelgen in diesen Erinnerungen und seien Sie Träumende! Saugen Sie Ihre Zuversicht aus diesen Erinnerungen. Und, wenn Sie mögen, lernen Sie den ersten Satz von Psalm 126 auf Hebräisch auswendig. Sprechen Sie ihn laut. Er klingt schön.

Weil Texte schön klingen, wenn jemand sie vorliest, macht Ihnen die Redaktion von evangelisch.de noch ein weiteres Angebot: Der Schauspieler, Radio- und Hörspielsprecher Helge Heynold möchte dazu beitragen, dass wir die Corona-Zeit gut bestehen. Darum hat er sich ein kleines, improvisiertes Aufnahmestudio in seiner Dachkammer eingerichtet, wo er jetzt täglich für uns Texte vorliest, die Sie auf der Seite von evangelisch.de anhören können. Heute, am Mittwoch, ist es Psalm 126. Folgen Sie einfach dem Link und genießen Sie Geschichten, Gebete und Gedichte – mit der Stimme von Helge Heynold. Sie können das Angebot, das wir „Ohrenweide“ genannt haben, auch als Podcast abonnieren. Das Angebot ist kostenlos.

Ich wünsche Ihnen Osterfreude. Bleiben Sie gesegnet!

Ihr Frank Muchlinsky